Der Torwart vom Arbeitsamt

 

Reinhard Rietzke

 

 

Kürzlich haben wir an dieser Stelle Klaus Thomforde, das Tier im Tor des FC St. Pauli, vorgestellt. Heute geht es um den Vorgänger des ehemaligen Bremervörders beim Kiezclub, Reinhard Rietzke.

 

 

 

Von 1974 bis 76 war Rietzke zwei Jahre St. Pauli-Stammtorwart, in der Bundesliga-Aufstiegs-Saison 1976/77 sowie 1977/78 in der 1. Bundesliga Reserve-Keeper (mit insgesamt vier Einsätzen und zweimal der Kicker-Note 1). Trotzdem arbeitete der Fußballer bis zur Rente beim Arbeitsamt.

 

 

2. Liga

 

Reinhard Rietzke wuchs in Alfstedt auf, spielte ungefähr bis zu seinem 22. Lebensjahr beim dortigen TuS in der Bezirksklasse. Dann bewarb er sich bei Concordia Hamburg, um mit diesem Verein in der damals höchsten Amateurklasse zu spielen. Weil Rietzke dort allerdings größtenteils auf der Reservebank saß, kehrte er wieder nach Alfstedt zurück und bewarb sich flugs bei Bremerhaven 93. Dort begann der Torwart zunächst in der zweiten Mannschaft zu spielen. Das funktionierte sehr gut – von seinem Arbeitgeber, dem Arbeitsamt, wurde der junge Sportler ebenfalls nach Bremerhaven versetzt. In dieser Ära schaffte Rietzke den Sprung in die Bremer Auswahl sowie in die erste Herrenmannschaft. Bremerhaven 93 spielte in der Regionalliga Nord, seinerzeit 2. Liga.

 

Der spätere Fußball-Nationaltrainer Jupp Derwall wollte Rietzke 1974 in die von ihm betreute Amateurnationalmannschaft berufen, um die Qualifikation für die Olympischen Spiele in Montreal 1976 anzugehen. „Am Montag hätte ich zum Lehrgang kommen sollen. Zwei Tage davor, am Samstag, unterschrieb ich meinen ersten Profi-Vertrag beim FC St. Pauli, der nach einem Spiel gegen Bremerhaven auf mich aufmerksam geworden war. Folglich musste ich meine Teilnahme absagen“, erzählt Rietzke. Zudem hatte es Angebote von Mainz 05 (mit dem ehemaligen Bremerhavener Uwe Klimaschefski als Trainer) und Fortuna Köln gegeben. „Später erfuhr ich, dass auch Werder Bremen mich seinerzeit – als Reservetorwart für Dieter Burdenski – gern gehabt hätte“, erinnert sich Rietzke.

 

 

St. Pauli

 

Trainer Kurt „Jockel“ Krause war zum 01.07.1974 zum FC St. Pauli zurückgekehrt. Unter ihm bestritt Rietzke alle Liga-Spiele. „Mein damaliges Handicap wurde im späteren Leben zu meinem Vorteil“, sagt der bodenständige Fußballer. Für seinen Vereinswechsel hatte er sich vom Arbeitsamt an den neuen Ort versetzen lassen.

 

„Ich fuhr morgens um 7 Uhr zur Arbeit. Um 15.30 Uhr war Schluss. Dann bin ich durch die ganze Stadt gedüst, um zum Training zu kommen. Dennoch habe ich im ersten Jahr fast als Einziger durch-gehend gespielt.“ Dank guter Leistungen in der Rückrunde 1974/75 hatte der FC St. Pauli in der neu gegründeten 2. Liga Nord gute Chancen auf den zweiten Platz, der zu einem Entscheidungsspiel gegen den Süden-Zweiten berechtigt hätte. Leider wurde das Ziel um einen Punkt verfehlt. St. Pauli wurde in der Tabelle Dritter, verpasste hinter Hannover 96 und Bayer Uerdingen (allerdings vor Arminia Bielefeld, Fortuna Köln und Borussia Dortmund) um einen Punkt die Aufstiegsmöglichkeit.

 

Auch die zweite Saison spielte Rietzke (fast) durch. Eine Verletzung ließ ihn die letzten Spiele jedoch verpassen. 1976 wurde Diethelm Ferner Trainer, Jürgen Rynio (spielte zuvor u. a. für die „Altmeister“ Karlsruher SC, 1. FC Nürnberg, Borussia Dortmund, Rot-Weiß Essen, später für Hannover 96) hütete fortan das Tor. In dieser Konstellation stieg St. Pauli 1977 erstmals in die Bundesliga auf. Rietzke vertrat Rynio bei vier Bundesliga-Spielen, wobei er zweimal die Kicker-Note 1 erhielt. Nach dem Bundesligaabstieg 1978 ging es ein Jahr später – trotz Platz 6 in der Tabelle – noch einmal eine Klasse tiefer. Der Deutsche Fußball-Bund hatte dem FC St. Pauli 1979 die Spielberechtigung für die 2. Liga entzogen, als der Verein zahlungsunfähig geworden war. Nach dem „Zwangsabstieg“ in die 3. Liga war Rietzke abermals drei Jahre Stammtorwart. Er kam finanziell nicht in Not, da er seinen Job beim Arbeitsamt behalten hatte. Andere Spieler mussten stempeln gehen. 1983 verließ Rietzke den Verein, spielte für die Amateure des HSV. Später trainierte er besagte Amateur-Mannschaft sowie den SV Lurup. (rgp)