Durch Abschiebepolitik droht komplette Pflegeheim-Schließung
Das Land Niedersachsen will mitten im Pflegenotstand dringend benötigte Pflegekräfte abschieben: Nun ist ein komplettes Heim für schwer demenzkranke Menschen von der Schließung
bedroht
12.11.2024.
Das Pflegeheim Haus Wilstedt ist das Zuhause für 48 schwer demenzkranke Menschen. Weil die niedersächsische Landesregierung bis diesen Donnerstag ein Drittel der Pflegekräfte abschieben will,
droht die Heimschließung. Die Heimbewohner müssen dann auf rare, oft weit entfernte Pflegeheime verteilt werden – oftmals schließt sich dann auch eine Unterbringung in der geschlossenen
Psychiatrie an, da Demenzerkrankte schwer mit Veränderungen klarkommen und sensibel darauf reagieren. Dies ist auch für die Angehörigen eine große Belastung. Angehörige und Belegschaft
haben sich nun zusammengeschlossen und kämpfen für das Bleiberecht der aus Kolumbien stammenden Pflegekräfte und das Zuhause der Patientinnen und Patienten.
In Haus Wilstedt, einem niedersächsischen Pflegeheim nahe Bremen, arbeiten zehn Pflegekräfte, die aus Kolumbien stammen und alle zum 14. November von der Abschiebung bedroht sind.
Sollten die Pflegekräfte tatsächlich abgeschoben werden, muss das Pflegeheim schließen – die schwer demenzkranken Menschen, die dort derzeit wohnen, verlieren ihr letztes Zuhause. Denn Haus
Wilstedt ist das einzige auf Gerontopsychiatrie spezialisierte Heim der Landkreise Rotenburg und Osterholz-Scharmbeck.
Die Angehörigen, die Belegschaft des Heims und die Heimleitung Andrea und Tino
Wohlmacher wenden sich in einem offenen Brief (siehe Anhang) an Bundesminister Hubertus Heil, Bundesministerin Nancy Faeser, Bundesminister Prof. Dr. Karl Lauterbach, Ministerpräsident Stephan
Weil und die Fraktionsvorsitzenden des Landtags Niedersachsen sowie des Bremer Senats. Sie fordern, dass die Abschiebung der betreffenden Pflegekräfte ausgesetzt wird und diese eine unbefristete
Aufenthaltsgenehmigung erhalten, damit sie in Haus Wilstedt weiter beschäftigt werden.
„Wir waren entsetzt zu erfahren, dass die Menschen, die sich so liebevoll um unsere Angehörigen kümmern, abgeschoben werden sollen“, so Juliane Müller aus
Osterholz-Scharmbeck, die selbst examinierte Pflegekraft ist und deren Mutter in Haus Wilstedt lebt. „Es ist unbegreiflich, warum die Landesregierung so entscheidet.“
Die betreffenden Pfleger und Pflegerinnen hatten Asylanträge gestellt und diese ausreichend begründet und belegt. Der zwanzigjährige Diego Arenas aus Ocana, Kolumbien, und seine Mutter flohen
aufgrund von Rekrutierungsversuchen durch die ELN (Ejército de Liberación Nacional, die „Nationale Befreiungsarmee“), eine Guerrillabewegung. Die fünfundzwanzigjährige Valentina Tascon, studierte
Bauingenieurswesen, ist in Kolumbien durch Schutzgeldforderungen an ihre Familie an Leib und Leben bedroht. Beide erhielten trotz Nachweisen der Bedrohung aus nicht nachvollziehbaren Gründen eine
Ablehnung ihres Asylantrags.
Tino Wohlmacher, der Heimbetreiber von Haus Wilstedt, hat für die zehn Pflegekräfte Mietwohnungen besorgt, die Kinder gehen hier zur Schule, die Menschen engagieren sich in ihrem Job und in
Vereinen. „Es ist absolut unverständlich, warum Menschen, die so gut integriert sind, hier Steuern zahlen und das Sozialsystem stützen, abgeschoben werden sollen“, sagt er. Neben den persönlichen
Auswirkungen für die der betroffenen Pflegekräfte hat dies auch weitreichende Folgen für das Pflegeheim: „Wenn diese Pflegekräfte wegfallen, muss ich das Haus zumachen. Es gibt einfach keinen
Ersatz – bei dem Pflegenotstand. Und bei dem Grad an Demenz, den unsere Bewohner haben, bleibt für sie nur eine Unterbringung in einer gerontopsychiatrischen Einrichtung. Alle, die von der
Abschiebung direkt und indirekt betroffen sind, verlieren dabei.“
Die Lage in Haus Wilstedt ist kein Einzelfall. Angesichts des Arbeitskräftemangels in der Pflege muss also nicht nur für das Land Niedersachsen eine Lösung gefunden werden. Bundesweit gibt es
etliche Fälle, in denen systemrelevante Arbeit von jenen erledigt wird, die hierzulande von Abschiebung bedroht sind. Es muss – so die Forderung der Heimleitung von Haus Wilstedt sowie der
Angehörigen und Pflegekräfte – unbefristetes Bleiberecht garantiert werden, gerade wenn Menschen sich integrieren und wichtige soziale Arbeit übernehmen. Mit Haus Wilstedt ist nun ein ganzes Heim
bedroht.
„Da der Pflegenotstand mit dem demographischen Wandel im Lauf der Zeit immer drängender wird, muss dafür Sorge getragen werden, dass das Pflegesystem nicht zusammenbricht, sondern gestärkt
wird“, so auch Angehörige Juliane Müller, die bei einer großen Pflegekasse arbeitet.
Heimbetreiber Tino Wohlmacher möchte seine aus Kolumbien stammenden Pflegekräfte langfristig beschäftigen. „Sie leisten einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft“, sagt er.
„Unser Land kann es sich nicht leisten, sie auszuweisen, das ist unzeitgemäß – und ganz davon abgesehen finde ich es unmenschlich, sie der Bedrohung in ihrem Herkunftsland auszusetzen. Die
Landesregierung und Bundesminister sind gefordert, hier schnell einzugreifen und zu helfen.“
Betreff: Protest gegen die drohende Abschiebung von dringend benötigten Pflegekräften zum 14.11.2024
Sehr geehrter Herr Bundesminister Heil, sehr geehrte Frau Bundesministerin Faeser, sehr geehrter Herr
Bundesminister Prof. Dr. Lauterbach, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Weil, sehr geehrter Herr Bovenschulte, sehr geehrte Herr Lechner, sehr geehrter Herr Dr. Mohrmann,
sehr geehrter Herr Bürgermeister Riedesel,
wir wenden uns an Sie als Pflegepersonal und Angehörige der Bewohnerinnen und Bewohner des Pflegeheim Haus Wilstedt in Niedersachsen. Wir sind fassungslos und besorgt:
Wie der Tagespresse (Niedersachsenteil des WeserKurier vom 9. November 2024) zu entnehmen war, sollen zehn aus Kolumbien stammende Menschen, die in Haus Wilstedt beschäftigt sind, abgeschoben werden. Wenn dies geschieht, muss das Pflegeheim schließen.
Die Pfleger und Pflegerinnen sowie eine Reinigungskraft hatten Asylanträge gestellt, die ausreichend begründet und belegt sind. Ihre Asylanträge wurden mit nicht nachvollziehbaren Begründungen abgelehnt. Ein solcher Umgang mit Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, weil ihnen in ihrem Heimatland Gewalt und Tod drohen, ist menschenverachtend und zynisch.
Diese Menschen sind hier integriert, sie zahlen Steuern, haben einen festen Wohnsitz, ihre Kinder gehen hier zur Schule. Sie haben einen Arbeitgeber, der sie langfristig beschäftigen will. Sie leisten einen wertvollen Beitrag für unsere Gesellschaft.
Wenn Sie diese dringend benötigten Arbeits- und Fachkräfte ausweisen, setzen Sie damit nicht nur sie den Bedrohungen in ihrem Herkunftsland aus. Sie nehmen unseren Familienangehörigen, unseren Patientinnen und Patienten damit auch die liebevolle Pflege und Versorgung und die Sicherheit ihres letzten Zuhauses:
Haus Wilstedt ist das einzige auf Gerontopsychiatrie spezialisierte Heim der Landkreise Rotenburg und Osterholz-Scharmbeck. Es herrscht Arbeitskräftenotstand, gerade in diesem Bereich – die Pflegekräfte, die abgeschoben werden sollen, stellen ein Drittel der Belegschaft von Haus Wilstedt dar.
Es gibt keine Kapazitäten, um den Heimbetrieb aufrechtzuerhalten, falls diese Menschen zum 14. November abgeschoben werden, um auf neuem Verwaltungswege korrekt und legal wieder einzureisen. Zudem ist damit noch nicht sichergestellt, dass sie auch wirklich wieder an eine Arbeit in der Pflege herangeführt werden.
Unsere Eltern und Großeltern, die dort wohnen, sind schwer demenzkrank – schließt Haus Wilstedt, müssen sie dann auf andere Pflegeheime verteilt werden, die, ob der besonderen Lage mit schwerst an Demenz erkrankten Menschen sehr rar und weit verstreut sind. Unter Umständen müssten Angehörige sehr weit für Besuche fahren. Ganz davon abgesehen ist jede gravierende Änderung im Tagesablauf oder Leben eines/einer Demenzerkrankten für sie/ihn ein großes Problem.
Möglicherweise müssen sie in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden, um Verhaltensauffälligkeiten medikamentös wieder zu regulieren. Da gehören sie nicht nur NICHT hin, sie neben auch Menschen Plätze weg, die diese in der Psychiatrie benötigen.
Als Angehörige und Pflegekräfte sind wir nicht bereit, das hinzunehmen! Wir wenden uns gegen diesen unmenschlichen Verwaltungsakt, für den es aus unserer Sicht kein einziges Argument gibt, außer: sinnlose und völlig unzeitgemäße Symbolpolitik.
Der Entschluss, eine geliebte Person einer Pflegeeinrichtung anzuvertrauen, ist schwer genug. Als Angehörige haben wir unterschiedliche, aber immer emotional schwierige Wege und Zeiten hinter uns. Wir sind dankbar und froh, unsere Angehörigen in Haus Wilstedt sicher und liebevoll versorgt zu wissen.
Wir fordern mit allem Nachdruck, dass die Abschiebung der betreffenden Pflegekräfte ausgesetzt wird! Wir werden nicht ruhen, bis die Pflegekräfte eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erhalten, damit sie in Haus Wilstedt weiter beschäftigt werden.
Eine menschliche Pflege entspricht nicht nur unserem Wunsch, sondern auch den politischen Zielen der Bundesregierung, deren Fachkräftestrategie lautet: „Da die inländischen Potenziale absehbar aber nicht ausreichen, will die Bundesregierung zum anderen die Einwanderung von Fachkräften aus dem Ausland steigern und das Potenzial der Geflüchteten besser nutzen, in dem diese gezielt in den Arbeitsmarkt integriert werden.“ Dies ist sicher nicht nur ein Ziel der aktuellen Bundesregierung, sondern auch jeder nächsten.
Das Land braucht diese Pflegekräfte, diese Menschen brauchen Ihre Hilfe! Setzen Sie sich für ihr unbefristetes Bleiberecht ein!
[Erstunterzeichner: Angehörige, Heimleitung, Belegschaft, siehe im Folgenden:]
Heimleitung:
Andrea Wohlmacher
Tino Wohlmacher
Belegschaft: Linda Thrams
Frank Stoltze
Nadja Heinatz
Diana Viebrock
Daniela Drescher
Ariana Guzmann
Vjollia von Würtzen
Sarah Walther
Cornel Motrici
Jasmina Schröpf Valentina Tascon
Andres Garcia Karen Mosquera
Carlos Pedroza
Rosalba Carrillo
Liliana Arenas
Dana Stork
Camila Carrillo
Diego Arenas
Dorota Przepierska
Aref Jamschidi
Monika Rozycka
Malgorzata Szczecinska
Fabian Jalvin
Brenda Schindler
Michael Thrams
Stephan Nyst
Paulina Bujak Felix Walther
Jessica Feht
Thomas Haase
Jessica Günther
Jessica Blicharski
Ramona Ahrends
Bianca Mittelstädt
Maria Arenas
Angehörige: Dr. Isabelle Schwarz
Michael Glomb
Anne Weiss Juliane Müller Markus Müller
Madita Müller
Christopher Dlugosch
Fiona Müller
Wilstedt, Pflegeheim.