Eine Weihnachtsgeschichte von Erik Lohof
Als wir im November 1964 von Holland nach Zeven gezogen sind, waren die
Winter gefühlt dunkler und länger, aber auf jeden Fall kälter. Ich war neun Jahre alt und kann mich an meterhohe Schneehügel am Rand der Straße erinnern. Das waren noch Zeiten...
In den Niederlanden feierten wir traditionell das große Nikolausfest (Sinterklaasfeest) am 6. Dezember. Am Nikolaustag gab es die Geschenke. Schon von Beginn November an wurde dafür Stimmung gemacht und die Kinder freuten sich lange im Voraus. Meine Eltern waren aber der Meinung, wenn wir jetzt schon in Deutschland leben, sollten wir auch dessen Traditionen ein Stück weit annehmen und die Geschenke, wie hier üblich, durch den Weihnachtsmann bringen lassen. Ich protestierte lautstark. Es war mir eigentlich egal, ob ich die Geschenke von Sinterklaas oder vom Weihnachtmann bekam, aber drei Wochen länger warten, passte mir gar nicht. „Das machen wir jetzt mal so, basta“, sagte mein Vater und damit war die Diskussion beendet.
Dort wo das heutige DRK an der Godenstedter Straße steht, stand damals unsere Grundschule. Anfang Dezember kam ein verkleideter Sinterklaas vorbei von der Kaserne. Er saß auf einem roten Sessel, der auf einem Anhänger befestigt war und von einem Militär-
fahrzeug gezogen wurde. Er wurde vom Schulleiter begrüßt und wurde im Sekretariat bei Kaffee und ein paar Cognac bei Laune gehalten, während seine Helfer, die schwarte Pieten durch die Klassen zogen, um Süßigkeiten zu verteilen. Mir fehlte sonst insgesamt die Atmosphäre aus Holland, das ganze drum herum. Nicht, dass ich noch an Sinterklaas glaubte, nein, ich war ja schon neun. Aber schön war es schon, damals die Zeit, als ich noch daran glaubte. Am gleichen Abend vorm zu Bett gehen, stand ich in meinem Zimmer in der
Königberger Straße. Draußen klirrende Kälte, eine schemenhafte Straßenlaterne reichte schon, um die verschneite Straße zu erhellen, es war still und den Menschen, die vorbei-
gingen, knirschte der Schnee unter den Schuhen.
Ich schwelgte in meinen Sinterklaas-Erinnerungen und fing ein wenig an, nachzudenken. Man, was haben sie dir alles erzählt. Dass Sinterklaas in Spanien wohnt und jedes Jahr mit dem Schiff voller Geschenke nach Rotterdam kommt. Dass er mit dem Pferd auf Spitzdächer reiten kann, ohne auszurutschen und dass er in den Monaten davor schon hören kann, wenn ich fluche oder am Tisch furze. Wenn ich was ausgefressen hatte, was regelmäßig vorkam, stand das alles in seinem goldenen Buch, was er immer dabei hatte, aber wie kam die Nachricht nach Spanien? Die schwarte Pieten konnten auch alles hören, sie konnten ohne Spuren zu hinterlassen durch verschlossene Türen oder durch die Schornsteine ins Haus gelangen, um die Schuhe der Kinder zu füllen. Eigentlich wollte ich es nicht wahrhaben, aber mir war schon klar, dass hier so einige Dinge nicht stimmen konnten. Als kleine Kinder wussten wir, wenn du unartig bist, gibt es womöglich keine Geschenke, dafür eine Tüte Salz. Das war sozusagen die Höchststrafe.
Meine Eltern machten regen Gebrauch von diesen sekundären Erziehungsmöglichkeiten, um mich zu einem braven Familienmitglied zu erziehen, konnten sie doch den schwarzen Peter auf den Nikolaus schieben und waren selber fein raus. Tatsächlich fand ich mal ein Salztütchen in meinem Schuh und habe untröstlich geweint.
Einmal hat mich Sinterklaas angerufen. Das Telefon hing im Flur, schwarz mit so einem dicken Hörer und einer Wählscheibe. Meine Mutter ging ran und sagte: Erik, für dich. Ich ging ran. Ja met Erik, sagte ich auf Holländisch. Hier ist Sinterklaas, hieß es am anderen Ende der Leitung. Ich bekam weiche Knie. Ich habe gehört, dass du in deinem Zimmer immer viel Unordnung hast und nicht aufräumst, stimmt das? Ich versuchte den Vorwurf etwas abzumildern, versprach aber eine Besserung für die Zukunft. Und ich habe gehört, dass du im Herbst Goldfische aus Nachbars Teich geklaut hast, um sie als Köderfische zu verwenden. Ich erklärte dem Nikolaus, dass das nicht wieder vorkommt, weil eh kein Hecht oder Barsch auf Goldfische gebissen hätte. Guck, dass du deinen Eltern nicht so viel Kummer machst, hörst du? Ja. Sinterklaas ich verspreche es dir.
Na dann ist es gut, ich muss jetzt auflegen, weil ich noch ein paar andere Kinder anrufen muss, tjüüs Erik und ohne zu überlegen sagte ich: Tjüüss Opa. (el)